Interview mit Carmel Lee Paul - Teil 2: 3_Carmel Lee Paul – Where the focus goes the energy flows
Dienstag, 10. Januar 2023
Von Susanne BARTA
Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstler-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.
Carmel Lee Paul lebt in Wien und ist selbständige Beraterin, Diagnostikerin und Coach. Sie hat internationale Arbeitserfahrung in den USA, Asien-Pazifik, Australien, Afrika, CEE, UK, Frankreich, Deutschland, Schweiz und Österreich. Auch in Südtirol hat sie gearbeitet. Gerne wird Carmel Lee nach ihrem ungewöhnlichen Vornamen gefragt, der geht auf ihre Mutter zurück, die Irin ist. Seit einiger Zeit auf ihrer bereits sehr ausgebuchten Agenda: Carmel Lee Paul engagiert sich für ein Projekt in Uganda, das junge Leute ausbildet und ihnen so Zukunftsperspektiven eröffnet. Sie bringt dort ihre Coaching-Kompetenz ein.
Aufgezeichnet am 22. Januar 2021
In meiner Umgebung und auch bei mir selber bemerke ich, dass trotz aller Ausdauer, eine große Müdigkeit da ist. Diese Krise verlangt uns viel ab. Gerade jetzt im Winter, wo es grau und kalt ist. Hier in einer guten seelischen und emotionalen Balance zu bleiben, ist immer mehr herausfordernd. Wenn ich mich selbst betrachte, finde ich, dass ich das Jahr 2020 sehr gut bewältigt habe. Ich habe mich auf vieles besonnen und einiges an Disziplin aufgebracht, dass es mir gut geht. Etwa den Fokus darauf zu richten, wofür ich dankbar und froh bin, ich habe auch wesentlich mehr meditiert als davor. Natürlich waren der Sommer und Herbst lockerer, wo wir hinauskonnten, sogar eine Italienreise haben mein Mann und ich gemacht und Freunde wiedergesehen. Das war eine schöne Phase, die einen wiederaufgebaut hat. Aber jetzt sind wir gerade in dieser dunkelsten Zeit seit drei Monaten mehr oder weniger im Lockdown. Ich bin immer geflohen vor der Dunkelheit, damit ist jetzt aber zurechtzukommen. Im Gegensatz zum ersten Lockdown achten wir jetzt sehr darauf, mobil und beweglich zu bleiben. Wir gehen, egal wie das Wetter ist, zumindest viermal pro Woche 6 bis 12 Kilometer, sei es in der Stadt, sei es, dass wir hinausfahren. Ich mache auch jeden Tag Bewegungsübungen. Es kostest jedoch immer mehr Anstrengung, körperlich und seelisch flexibel und positiv zu bleiben. Es gibt viele, für die das noch um einiges schlimmer ist als für uns. Wir sind zu zweit, haben keine existenziellen Probleme und können hinaus gehen. Wenn ich mir andere Realitäten anschaue, dann ist das für mich gesellschaftlich langsam wirklich bedrohlich.
In meiner Arbeit habe ich fast alles auf online verlegt, bei Einzel-Coaching-Sitzungen ist das überhaupt kein Problem, einiges war schon vorher so, da ich viele internationale Klienten habe. Bei Team-Workshops aber fehlt etwas, wenn man sich nicht, zumindest zwischendurch, real begegnen kann. Da wurde auch viel abgesagt und verschoben. Herauskristallisiert hat sich aber, dass ich mit Teams in einer anderen Form arbeite. Und zwar so, dass wir schauen, wie sie mit der Situation umgehen können, dass ihre Teams nicht auseinanderbrechen. Es ist eine Art Supervision in regelmäßigen Abständen, um Probleme in der Zusammenarbeit zu begleiten. Das ist anders als Team-Building oder Team-Coaching, eine Hilfestellung, angepasst an die Situation. Auch neu dazugekommen ist für mich, dass ich wieder stärker in der online Diagnostik arbeite. Das ermöglicht mir mit internationalen Unternehmen Assessment und Development Center zu machen, mit Menschen aus der ganzen Welt zu arbeiten. Gerade für Unternehmen, die bisher sehr konservativ unterwegs waren, bringt das einen enormen Lernschub, weil sie mehr digitale Kompetenz lernen können und sich so besser an die heutige Zeit anpassen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich so gut mit diesem Medium umgehen kann. Von meiner Herangehensweise „begreife“ ich Menschen und dachte immer, ich muss jemanden berühren, um ihn wirklich erfassen zu können. Aber das ist nicht so, trotzdem geht es mir ab. Was sich aber wirklich nicht über den Computer vermitteln lässt, ist eine gewisse feinstoffliche Ausstrahlung.
Ich würde mir wünschen, dass es zu längerfristigen Veränderungen kommt, habe da aber meine Zweifel. Ich glaube, dass eine gewisse Anzahl an Menschen, meine Hypothese wäre 20 bis 30 Prozent, nach dieser Zeit Dinge verändert haben wird. Der größere Anteil, glaube ich, sehnt sich danach, dass es so wie vorher wird. Natürlich möchte auch ich wieder unterwegs sein. Ich liebe es andere Kulturen und Länder zu bereisen. Aber nicht mehr so, ein Wochenende da, ein Wochenende dort, dann auch noch fliegend und kurz, mit viel Stress und viel negativem Fußabdruck. Hier würde ich mir wünschen, dass es eine massive Veränderung gibt. Klar ist jedenfalls, dass wir das anders leben werden.
Wichtig finde ich auch, sich nicht zu sehr unter Druck setzen zu lassen, was man nicht alles tun sollte auf gesellschaftlicher Beziehungsebene. Ich hoffe, dass ich mich öfters traue nein zu sagen und meine kostbare Zeit vor allem mit jenen Menschen verbringe, sei es beruflich oder privat, wo ich das Gefühl habe, dass das eine Win-win-Situation ist, materiell oder immateriell. Mir ist auch noch einmal mehr bewusst geworden, wie fragil ein Leben sein kann. In meiner Familie sind wir, trotz der Distanz, näher gerückt.
Harald Welzers Zitat entspricht ganz meiner Einstellung. Wenn man davon ausgeht, dass die einzige Konstante Veränderung ist, dann habe ich mich schon vor langer Zeit auf diese Seite und nicht auf das Ertragen gestellt. Von meiner Haltung her bin ich offen für Veränderung, bin lösungsorientiert und richte den Fokus auf die Dinge, die mich glücklich machen und für die ich dankbar bin. Für mich gilt auch nicht der typische österreichische Spruch: „Es kommt nichts Besseres nach.“ In meinem ganzen Leben habe ich das auf den Kopf gestellt, denn es ist immer besser geworden. Und ich glaube auch jetzt, dass etwas Besseres nachkommen wird, wenn wir offenbleiben und annehmen, was uns das Schicksal bringt. Wenn wir alle in dieser Krise schauen, was heißt denn das für mich und was bedeutet das Gutes für meine Zukunft, dann können wir fast auf so etwas wie eine neue Bewusstseinsebene kommen. Wir sollten uns daher gut überlegen, worauf wir unseren Fokus legen, denn: „Where the focus goes the energy flows“.
Fotos: © Carmel Lee Paul